öffentliche Podiumsveranstaltung bei XUND

Eine Milliarde für die Pflege – und jetzt? Die Umsetzung der Pflegeinitiative in der Zentralschweiz.

Es diskutierten Regierungspräsident Guido Graf, Tobias Lengen (OdA/XUND), Erika Rohrer (Hirslanden Klinik St. Anna) und Miriam Rittmann (SBK Sektion Zentralschweiz). Die Präsidentin des Luzerner Forums Ida Glanzmann war an diesem Abend auch Moderatorin und holte zudem die stellvertretende Teamleiterin des Alters- und Pflegeheimes Viva Wesemlin auf das Podium, Qendres Haziri. Frau Haziri gab einen eindringlichen Einblick in den Pflegealltag. Anschliessend gab es Fragen aus dem Publikum und gut gelauntes Netzwerken bei einem durchaus üppigen und bekömmlichen Apéro riche. – Der Anlass war ausgebucht; es gab eine Warteliste.

öffentliche Podiumsveranstaltung bei XUND

Um 17.30 Uhr begrüsste Ida Glanzmann, Präsidentin des Luzerner Forums, die Gäste und die Podiumsteilnehmenden. Und sie durfte gleich eine erfreuliche Nachricht verkünden: XUND Bildung Gesundheit Zentralschweiz war an diesem Nachmittag dem Luzerner Forum als Trägerverein beigetreten.

Das Thema dieser Podiumsveranstaltung liegt Ida Glanzmann nicht nur politisch am Herzen, auch privat bzw. beruflich: Sie komme selbst aus der Pflege, sei Pflegefachfrau und immer noch Mitglied im Verband. Sie hat auch im Initiativkomitee der Pflegeinitiative mitgewirkt.

Also: Wie wird die Pflegeinitiative umgesetzt? Wie wird diese Milliarde genutzt, die von Bund und Kantonen gesprochen wurde? Ida Glanzmann entschuldigt den Geschäftsführer Hannes Blatter wegen Krankheit. Für einmal also übernehme sie die Moderation. So gut, wie Hannes Blatter das vorbereitet habe, würde das einfach werden.

Die drei Töpfe

Zunächst kommt das Referat von Tobias Lengen (OdA/ XUND); er ist Geschäftsführer der OdA / XUND und stv. Direktor des XUND-Bildungszentrums, wo das Luzerner Forum an diesem Abend mit der Podiumsveranstaltung zu Gast ist.

In den sechs Kantonen der Zentralschweiz, so Tobias Lengen, wurde die Entwicklung der Abschlüsse von 2012 bis 2020 genau analysiert. Dazu gibt es einen Bericht vom schweizerischen Gesundheitsobservatorium Obsan und der Gesundheitsdirektorenkonferenz der Zentralschweiz: «Die Pflege-Abschlüsse entwickeln sich: In den letzten zehn Jahren gab es 70% Wachstum. Auch in Zukunft müssen die Abschlusszahlen steigen, um den Bedarf zu decken.» Es sei also schon viel geleistet worden; es gäbe aber noch viel zu tun: Gemäss Prognose für 2029 liegt der Deckungsgrad für Fachangestellte Gesundheit (Fage) bei 86% und der bei dipl. Pflegefachpersonen bei 78%.

1 Milliarde, 3 Töpfe

Das wuchtige Ja mit 61% zur Pflegeinitiative soll in zwei Etappen umgesetzt werde. Die erste ist eine Bildungsoffensive, sie tritt ab Mitte 2024 in Kraft; die zweite kümmert sich um die restlichen Forderungen, z.B. die Arbeitsbedingungen. Für die Bildungsoffensive gibt es drei Töpfe: einer zugunsten der Ausbildungsbetriebe; einer zugunsten der Studierenden, einer zugunsten der Fachschulen.

Die Förderbeiträge für Studierende sollen sich in der Zentralschweiz an Alter und allenfalls Familie orientieren. Unabhängig von der Umsetzung der Pflegeinitiative, wollen die Zentralschweizer Leistungserbringer die Ausbildungslöhne auf 2024 um rund einen Drittel anheben. Dies hält die überarbeitete Lohnempfehlung fest, die in den nächsten Tagen von der OdA XUND veröffentlicht wird. Wichtig ist, dass es nicht nur um Gewinnung gehe, sondern auch um Einsatz und Erhalt. Diese Bereiche gelte es zu verbinden. Schliesslich brauche es in der Zentralschweiz zwischen 2019 und 2029 14'000 Pflegefachkräfte.

Die Erwartungen der Politik

Regierungsrat Guido Graf wies darauf hin, dass es noch viel zu diskutieren geben wird, gesellschaftlich. Denn man brauche eine möglichst gute Versorgung zu angemessenen Kosten. Doch was ist eine gute Versorgung? Was sind angemessene Kosten? Der Krankenkassen-Basispreis sei zu tief, so Graf. Entweder gehe es mit den Prämien oder den Steuergeldern hoch. Auch werde es eine grössere Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich geben.

Hinsichtlich Arbeitsbedingungen sieht Guido Graf die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gefordert, auch mit neuen Arbeitsmodellen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass Kantonsgrenzen heute nicht mehr wichtig sind. Man bilde sich zum Beispiel in Luzern aus und arbeite dann in Zug oder Zürich.

Und hinsichtlich Umsetzung betont Guido Graf, dass sie partnerschaftlich sein muss. Und, weil er nach vier Amtsperioden bald nicht mehr in der Regierung sein wird, bittet er: Schauen Sie hin, dass die Umsetzung nicht zu kompliziert wird. Ab Juli 2023 sei zudem eine Pflegefachperson im Stab des Gesundheitsdepartementes, um bei der Umsetzung der Initiative zu helfen.

Die Erwartung des Berufsverbandes

Ida Glanzmann stellt die erste Frage an Miriam Rittmann, Präsidentin des Schweizer Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK – Zentralschweiz: Was sind die Erwartungen des SBK an dieses erste Paket mit Fokus auf die Zentralschweiz?

Miriam Rittmann ist positiv überrascht, dass schon so vieles gemacht wird. Vor allem betont sie, dass das Geld unkompliziert da ankommen soll, wo es gebraucht wird. Auch müsse man die Auszubildenden enger begleiten: Heute beginnen viele ihre Ausbildung schon mit 16. Früher war das mit 18. Diese zwei Jahre Unterschied beinhalten bereits eine grössere Lebenserfahrung. Mit einem der Töpfe ist Miriam Rittmann nicht zufrieden: «Ich bin enttäuscht, dass im dritten Topf, also für die Studierenden, zu wenig ist. Das ist mein Kummer.»

Die Sicht der Arbeitgebenden

Erika Rohrer vertritt als stv. Direktorin der Hirslanden Klinik St. Anna die Arbeitgeber und formuliert ihre Erwartungen an die Umsetzung zunächst aus Sicht der Lernenden und Studierenden. Es sei wichtig diese finanziell zu unterstützen, das empfehle sie sehr. Entscheidend dann für eine gute Ausbildung sei es aber auch, dass die Betriebe tatsächlich die Ressourcen aufbringen können, um Lernende und Studierende optimal zu lehren. «Die Betriebe müssen in der Lage sein, Betreuungsleistungen anzubieten, dazu benötigen sie monetäre Unterstützung.» Zum Beispiel, um dazu personelle Ressourcen zu ermöglichen.

Koordination der Umsetzung

Die OdA/XUND hat den Auftrag, die Umsetzung zu koordinieren. Ida Glanzmann fragt Tobias Lengen nach seinen Erwartungen. Als Wichtigstes erachtet er Koordination und Einfachheit. Zu viele Fage und Pflegefachpersonen würden schon bald nach Studienabschluss verloren gehen. Sie suchen sich eine andere Arbeit. «Bei den Fachkräften geht es um Gewinnung, Einsatz und Erhalt. In allen drei Bereichen sind koordinierte Massnahmen erforderlich.»

Guido Graf ergänzt: «Ich will nicht den Teufel an die Wand malen. Aber: Wir müssen uns wehren, damit das Geld über einfache Kanäle an die richtigen Leute kommt.»

Erika Rohrer sieht nichtmonetäre Leistungen ebenfalls als wichtig an, Geld allein löse das Problem nicht. Wenn die Unternehmen unterstützt werden, können sie nichtmonetäre Leistungen anbieten. Ausserdem: «Wir müssen auch im Personal-Halten voll Gas geben. Es ist mit bis zu 50% mit Administrativem beschäftigt. Das muss reduziert werden.» Sie habe mit Rotationspraktiken gute Erfahrungen gemacht, so lernten die Mitarbeitenden verschiedene Skills.

Guido Graf verweist noch einmal auf die Bedeutung neuer Arbeitsmodelle: «Die Arbeitsgeber müssen kurzfristig die Bedingungen ändern. Das muss wirklich kurzfristig geschehen.» Besonders müssten die Bedingungen den jungen Leuten passen.

Tobias Lengen sieht die Koordination zwischen den Kantonen als Herausforderung, da gäbe unterschiedliche Ausgangslagen. Man müsse jetzt starten und die Beteiligten einbeziehen, wenn man im Sommer 2024 loslegen wolle. Es brauche «Taten statt Warten.» Dies auch wegen des Umstandes, dass es von der Entscheidung, diesen Beruf zu ergreifen, bis zum Ausbildungsabschluss gut fünf Jahre gehe.

Miriam Rittmann sieht einen Teufelskreis: Man sollte mehr Personen ausbilden, aber gleichzeitig würden auch immer mehr Leute aus ihrem Beruf als Pflegefachkraft austreten. Dies, während der Pflegebedarf zunimmt. Miriam Rittmann fragt nach dem Wert der Pflege: Was ist sie uns wert? Um diese Diskussion kämen wir nicht herum. Auch das Arbeitsrecht sei anzupassen, jedoch partnerschaftlich, zusammen mit den Pflegenden. Und sobald das alles in Ordnung ist, könne man Werbung für den Beruf machen: «Ich bin für eine Imagekampagne, sobald die Realitäten stimmen.» Man gehe mit Enthusiasmus in die Berufsausbildung. Und dann komme man in Berufsrealität und brenne aus. Jedoch spüre sie in Gesprächen mit Arbeitgebenden, dass da einiges in Bewegung gekommen ist.

Auch die jungen Pflegefachpersonen bringen gute Ideen ein, man könne jetzt etwas bewegen, gemeinsam.

Einblick in den Pflegealltag

Ida Glanzmann begrüsst Qendres Haziri, sie ist stv. Teamleiterin im Alters- und Pflegeheim Viva Wesemlin. Spontan berichtete sie kurz, eindringlich und klug über den Pflegealltag ihres Teams. Zum Beispiel, dass kurzfristig ein Wochenende umzuplanen war, weil eine Patientin auf einmal 1:1 zu betreuen war. Dies, nachdem man schon für einen Frühdienst eingesprungen war, der krank war. Zur Umsetzung der Pflegeinitiative sagt Qendres Haziri: «Es sollte etwas Evokatives herauskommen, das am Bett der Patienten bemerkbar ist. Ob im Heim, Spitex oder im Spital.» Und: «Ich kenne viele, die die HF-Ausbildung machen würden. Aber die Bedingungen kann sich kaum jemand leisten.» Trotzdem ist sie zuversichtlich, und zwar genau wegen der Initiative.

Immerhin ist man sich dahingehend einig, dass die Pflege immer noch ein sehr sinnhafter Beruf sei, die Pandemie habe das gezeigt. Das Pflegefach bietet Sinnorientierung, Laufbahnmöglichkeiten. Nur braucht es eben Zeit für die Patienten und auch für sich selbst. Und Vereinbarkeit mit der Familie und moderne Arbeitsbedingungen.

Zusammenarbeit

Kurz vor Ende weist Guido Graf darauf hin, dass man auch in anderen Branchen Fachkräfte suche. Man müsse deshalb gut und koordiniert zusammenarbeiten. Auch mit dem BAG. Man könne ja, meinte Ida Glanzmann, ein Fax schicken.

Präsidentin Ida Glanzmann bedankte sich bei Gästen und Podiumsteilnehmern. Besonderen Dank sprach sie Jörg Meyer und Tobias Lengen vom XUND-Bildungszentrum für die Möglichkeit, die öffentliche Podiumsveranstaltung des Luzerner Forums hier durchführen zu dürfen. Zeit war es nun fürs Netzwerken und den Apéro riche.

 

Photos der Veranstaltung

Hier finden Sie Eindrücke dieser Veranstaltung.

Video der Veranstaltung

Hier finden Sie das Video der Veranstaltung.

Präsentation von Tobias Lengen

1 Mrd. für die Pflege – und jetzt?

Übersicht

Datum und Zeit

Mittwoch, 29. März 2023
17.30 bis 19.00 Uhr mit anschliessendem Apéro riche

Teilnehmende am Podium

 

Moderation

Veranstaltungsort

XUND
Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz
Bistro
Kantonsspital 46
6000 Luzern 16
Anfahrt und Lageplan

Veranstaltungspartner