Ein hochkompetentes Podium, ein voller Kantonsratssaal und schon bald mehr als nur angeregte Diskussionen: Zum öffentlichen Podium «Zukunft der Zentralschweizer Spitalversorgung» begrüssen Ida Glanzmann-Hunkeler, Alt-Nationalrätin und Präsidentin des Luzerner Forums, und Hannes Blatter, Geschäftsführer des Luzerner. Sofort geht es in die Veranstaltung, in einem neuen Format «Heaven and hell». In je zehn Minuten präsentieren Regierungsrätin Dr. iur. Michaela Tschuor, CSS-Geschäftsführerin Philomena Colatrella, Prof. Dr. Stefan Felder von der Universität Basel und Dr. phil. Peter Werder, CEO Kantonsspital Obwalden, ihre Vorstellungen von Utopie und Dystopie der Zentralschweizer Spitalversorgung, dazu den Ist-Zustand und die Entscheidungen, die nötig sind, um die Entwicklung in Richtung Himmel zu bringen. Die anschliessende Diskussion ist höchst angeregt.
Ida Glanzmann-Hunkeler begrüsst die Obwaldner Regierungsrätin Cornelia Kaufmann-Hurschler, den Obwaldner Kantonsratspräsident Andreas Gasser, Nationalrätin Vroni Thalmann-Bieri, Kantonsräte aus Luzern, Obwalden und Zug. Besonders würdigt sie die Podiumsteilnehmer:innen und den Umstand, dass sie die Einladung des Luzerner Forums sofort angenommen hätten. Einführend nennt Ida Glanzmann-Hunkeler die Schmerzpunkte zum Thema: Mangel an Hausärzt:innen, Fachkräftemangel in Spitälern, Ambulantisierung, Digitalisierung, Prämienanstieg. Sie berichtet aus den Ferien: «Der Guide in Oman sagte, die Gesundheitsversorgung sei gratis, zugänglich für alle, mit Zentren in den kleinen Dörfern, in grösseren Dörfern hat es Spitäler.» Krankentransporte in die grösseren Spitäler fänden via Hubschrauber statt. «In der Schweiz können wir das natürlich nicht.»
Future backwards: Himmel und Hölle der Zentralschweizer Spitalversorgung
Hannes Blatter, Geschäftsführer des Luzerner Forums, moderiert das Podium. Er weist zunächst auf eine erfreuliche Entwicklung hin: Die Zentralschweiz ist bereits in der Entwicklung der überregionalen Planung. Das Kantonsspital Nidwalden hat sich bereits der LUKS Gruppe angeschlossen. «Obwalden prüft noch, vielleicht ist deshalb so viel Prominenz aus Obwalden da.» Hannes Blatter gönnt dem vollen Saal diese kleine Pointe.
Weil die Podium-Methode «future backwards» neu ist, stellt Hannes Blatter sie kurz vor: Future backwards zeichnet zunächst die Utopie, den Himmel zu einem Thema, anschliessend die Dystopie, die Hölle dazu. Dann, basierend auf einer Analyse des Ist-Zustandes zum Thema, werden die Entscheidungen identifiziert, die im Heute nötig sind, um die Zukunft in Richtung Himmel zu beeinflussen.
Die Sicht der Gesundheitsdirektion des Kantons Luzern, Dr. iur. Michaela Tschuor
Zehn Minuten für Regierungsrätin Dr. iur. Michaela Tschuor, Vorsteherin des Gesundheitsdepartements Luzern. Zu ihrem Heaven bringt sie ein Beispiel: Eine Person hat Symptome, sie weiss nicht, ob Unterstützung nötig ist. Doch gibt es eine starke ambulante Grundversorgung, die den Spitälern vorgelagert sind, ein interdisziplinäres Angebot unter einem Dach. Zuerst kontaktiert die Person via App die Gesundheits-Leitstelle, sie nimmt die Triage vor. Die Patient:in kann sicher gehen, dass sie optimal begleitet wird: Es gibt die ambulante Grundversorgung, Spitäler, dazu Teams, die zu Patient:innen nachhause gehen. Die Hölle sei das Gegenteil: Spitäler müssen leisten, was eigentlich die Hausärzte leisten müssen. Therapien verschieben sich. Die Wege sind lang, primär über Luftrettung. Notfallstationen sind überfüllt. Es bleibe nur noch Privatisierung. Die Ökonomie bestimmt. Privatpatient:innen haben den Vorrang. Als Ist-Analyse sieht Michaela Tschuor die Situation als zwischen Himmel und Hölle. Es gibt Erfolgsprojekte zwischen den Kantonen. Das Parlament hat im vergangenen Dezember sozusagen mit dem Versorgungsbericht das Heaven-Szenario verabschiedet. Der Bevölkerung ist das noch zu erklären, die Ängste ernst zu nehmen, sie abzubauen. Die nächsten Entscheidungen betreffen die Digitalisierung, sie koste, aber lohne sich. Und zur intelligenten Spitalplanung brauche es eine Balance zwischen spezialisierten Spitälern im Zentrum und einer starken Grundversorgung in der Peripherie.
Die Sicht der Versicherer, Philomena Colatrella, CEO der CSS-Versicherung
Darauf, dass ohne gesetzliche Vorgaben die patientenzentrierte, effiziente Versorgung jetzt schon möglich wäre, weist Philomena Colatrella, CEO CSS-Versicherung in ihrem Beitrag hin. Auch ihren Himmel sieht sie in überregionaler Zusammenarbeit. Sie nennt einen starken Vorteil von Ambulatorien an dezentralen Standorten: Das helfe auch, Personal zu finden, Nachschichten zu reduzieren. Doppelspurigkeiten werden vermieden und die Wahrscheinlichkeiten erhöht, dass Patient:innen die richtige Behandlung erhalten. Dazu brauche es digitale Netzwerke, zum Beispiel digitale Patientendossiers, EPIC. Ihr Heaven nennt die Themen Planung, und zwar konsequent aus Patient:innen-Sicht; die Stärkung der Ambulantisierung; die überregionale Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der Standorte; eine gemeinsame Datenplattform. Die Hölle sei Systemzentrismus, Ineffizienz und hohe Kosten. Dazu komme, dass der Personalmangel vor allem auf die ländlichen Spitäler drückt. Das alles erhöhe die Prämien. Als Ist-Analyse sieht Philomena Colatrella ein teures Spitalnetz, ein Drittel der Kosten fallen im stationären Bereich an; dazu Kantone, die innerhalb von Versorgungsregionen nicht gut aufeinander abgestimmt sind: ohne Wissen um kantonale Befindlichkeiten würde niemand gleichzeitig ein Spital in Nidwalden oder Obwalden planen. Dabei sei zum Beispiel bei einem Herzinfarkt ein Notfallwagen in der Nähe besser als ein Spital in der Ferne. Die jetzt fälligen Entscheidungen betreffen die überregionale Spitalplanung, integrierte Versorgungsnetze, Förderung der Ambulantisierung sowie die Dateninfrastruktur und Digitalisierung.
Die Sicht der Forschung, Prof. Dr. Stefan Felder, Uni Basel
Vielen gereiche wohl zur Hölle – das sagt Prof. Dr. Stefan Felder selber, Leiter Forschungsgruppe Health Economics – was er als Himmel beschreibe: einen Abbau von etwa 580 Betten mit einer Verbesserung der Qualität. Wo Betten aufgestellt werden, würden sie auch gefüllt. Spitäler gäbe es in seinem Himmel nur noch in Luzern und Zug, ansonsten ambulante Zentren. In seiner Analyse sieht er bis 2040 einen Anstieg der Bevölkerung um +11% bei einer Reduktion der Verweildauer um –19% und einer Verlagerung in die Ambulantisierung von –30%. Das bedeute für die Spitalbetten ein Total von –38%. Als Hauptpunkte der Ist-Situation nennt Stefan Felder: Die stationären Kosten seien zu hoch; die Kantone hätten Mehrfachrollen in der stationären Versorgung: nämlich einen Sicherstellungsauftrag, Aufgaben als Eigentümer von Spitälern; als Schiedsrichter bei Verhandlungen über Spitäler. Dazu kommen offene und verdeckte Subventionierungen. Es herrsche das St. Florians-Prinzip: «Heiliger Sankt Florian / Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!» Die Zukunft liege in der einheitlichen Finanzierung von Ambulant und Stationär, der Privatisierung der Spitäler, einem Stopp der Subventionierung öffentlicher Spitäler, einer stärkeren Rolle der Versicherer ohne Vertragszwang.
Die Sicht des Spital-CEO, Dr. phil. Peter Werder, CEO Kantonsspital Obwalden
Mit einer schlechten Nachricht beginnt Dr. phil. Peter Werder, CEO Kantonsspital Obwalden: Wir alle werden sterben. Es gehe darum, wo, wie schnell und in welcher Qualität medizinische Leistungen angeboten würden. Spezifisch geht Peter Werder auf das Ende der Lebenszeit ein: Da setzten wir auf Qualität, nicht auf Quantität. Da müsse nach Region geplant werden, nicht nach Kantonen. Diese überregionale Planung sei entscheidend, dabei müsse auch das Angebot überdacht werden. Die Planung betreffe eine Neudefinition dessen, was ein Spital in zehn, zwanzig Jahren ist. Vielleicht brauche es da überhaupt keine Spitalbetten mehr, sondern vermehrt Hotelbetten. Hinsichtlich Kosten weist Peter Werder auf den Umstand hin, dass Regulierung viel kostet. Dieser Punkt werde durch eine PwC-Studie unterstützt, die die Kosten mit der Lebenserwartung ins Verhältnis setzt. In Spanien sei dieses Verhältnis besser als bei uns. Auch steht für Peter Werder die Frage im Zentrum, was es uns als Patient:innen überhaupt Wert ist, länger bei guter Qualität zu leben. Er provoziert mit einem Vergleich: Wie viel kosten denn Ferien, das Netflix-Abo und so weiter? Peter Werden möchte auf Eigenverantwortung setzen, auf freiwilligen Verzicht, auf optimale und nicht maximale Qualität. Entsprechend gehöre die Grosszügigkeit hinsichtlich Prämienverbilligungen in das Szenario Hölle. Peter Werders Anliegen ist es, Spital völlig neu zu denken. Als Rahmenbedingungen nennt er: Versorgung zur richtigen Zeit, lokal vor Ort und regional zentralisiert sowie in optimaler Qualität, abgestimmt nach Leistungsstufen, Leistungsarten und Dringlichkeit, nicht nach Kanton. Zwei Arten von Behandlungen werde es in Zukunft in Gesundheitseinrichtungen geben: lokal ambulante bzw. dringende und zentral bzw. überregional die hochspezialisierte Medizin, Geriatrie und Palliativmedizin möglichst lokal. Zur Ist-Analyse gehören nach Peter Werder eine Spitalversorgung, die noch immer nicht überregional geregelt ist, und das daraus folgende unkoordinierte Angebot sowie die personellen und finanziellen Schwierigkeiten. Auch die Patient:innen sehen sich vor längere Wartezeiten gestellt. Gesetze verunmöglichen sowohl Flexibilität in der Leistungserbringung sowie eine vorausschauende Entwicklung der Standorte. Die Zentralschweiz könne aber in der Planung überregionaler Leistungen am besten vorangehen. Die Aufgabe der Politik sei darauf zu beschränken, die Versorgung zu sichern, das Obligatorium im KVG zu prüfen.
Die Podiumsdiskussion
Nach diesen Heaven- und Hell-Kurzpräsentationen moderiert Hannes Blatter die Diskussion, und sie verläuft äusserst angeregt. Mit seinem augenzwinkernden Einwurf «dem Moderator entgleitet die Diskussion» holt Hannes Blatter ein allseitiges Lachen in den Saal. Die Themen der Diskussion sind insbesondere die überregionale Planung der Struktur und der Angebote, Möglichkeiten zur Schaffung integrierter Versorgungsnetze, die Abgrenzung von kantonalen Aufgaben und den Aufgaben der Gesundheitsversorger; die Digitalisierung, die durch die hohe Anzahl unterschiedlicher Softwaresysteme zusätzlich erschwert wird; inwiefern die Gesundheitsversorger, die Versicherer und die Kantone bei Planung und Umsetzung des integrierten Versorgungsansatzes involviert sein sollten; der Leistungskatalog, in den immer mehr aufgenommen, aber kaum etwas substituiert werde.
Stimmen aus dem Plenum
Aus dem Saal kommen weitere Beiträge, besonders zwei Bedenken sind zu nennen. Das eine: «Wer kümmert sich um die Patient:in, die nach der ambulanten Behandlung zuhause betreut werden müsste? Wer kocht, hilft auf die Toilette? Die Patient:in sollte im Zentrum stehen. Aber wie geht das, wenn die Patient:in alleine zuhause ist?» Das zweite: «Es fehlt, dass im Podium auch eine Patient:in anwesend ist, dazu jemand aus der Pflege und jemand aus der Medizin.»
Hannes Blatter lässt – man ist ja am richtigen Ort – den Kantonsratssaal abstimmen. Das Resultat: Bedeutend mehr Personen glauben, dass der Himmel der Spitalversorgung bzw. der Gesundheitsversorgung erreicht wird.
Gestützt wird dieses Urteil durch einen Punkt, den Michaela Tschuor während des Abends genannt hat: Es gebe den Planungsbericht mit Strategie und Massnahmen. Jetzt treibe man diese integrierte Versorgung voran. Dabei gehe es darum, auf die Länge zu reüssieren. So sei es hinsichtlich Digitalisierung eine Augenwischerei, dass man da momentan sparen könne.
Nach diesem Abend ist es klar, die Zukunft der Gesundheitsversorgung in der Zentralschweiz hat schon begonnen. Zu diskutieren gibt es natürlich noch einiges: Am Apéro riche, fachmännisch zubereitet und serviert von der IG Arbeit, ist der Lautpegel hoch, Gespräche und Austausch sind in vollem Gang.
Hier finden Sie Eindrücke dieser Veranstaltung.
Hier finden Sie das Video der Veranstaltung.
Regionaljournal Zentralschweiz - 13.02.2025
Willisauerbote - 14.02.2025
Gesamtpräsentation der Veranstaltung
Mittwoch, 12. Februar 2025
17.30 bis 19.00 Uhr im Kantonsratssaal Regierungsgebäude Luzern mit anschliessendem Apéro riche im Lichterhof
17.30 Uhr
Begrüssung Ida Glanzmann-Hunkeler, Präsidentin Luzerner Forum
Einführung Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum
17.40 Uhr
Regierungsrätin Dr. iur. Michaela Tschuor, Kanton Luzern Gesundheits-und Sozialdepartement, Philomena Colatrella, CEO CSS, Prof. Dr. Stefan Felder, Universität Basel und Dr. Peter Werder, CEO Kantonsspital Obwalden präsentieren in Kurzvorträgen ihre Einschätzungen.
ca. 18.10 Uhr
Beginn Podiumsdiskussion (Moderation Hannes Blatter)
19.00 Uhr
Ende Podium anschl. Apéro riche
Moderation
Veranstaltungsort