Netzwerk-Apéro VPS Verlag

IV-Gutachten im Brennpunkt

Ob eine versicherte Person Anspruch auf eine IV-Rente hat, hängt zunächst von ihrem Gesundheitszustand ab. Basis der Beurteilung des Gesundheitszustands sind häufig Gutachten – die immer wieder in Frage gestellt und angezweifelt werden und schliesslich zu juristischen Auseinandersetzungen führen.

Netzwerk-Apéro VPS Verlag

Gastgeber dieses Netzwerk-Apéros ist der Sozialversicherungs-Verlag vps.epas, die Veranstaltung ist im Weiterbildungssaal, das Thema hartnäckig vertrackt: IV-Gutachten führen regelmässig zu juristischen Auseinandersetzungen. Dies trotz der Gesetzesrevision «Weiterentwicklung der IV», in Kraft seit Januar 2022. HSLU-Prof. Peter Mösch Payot präsentiert die Ausgangslage. Rainer Deecke, Präsident Versicherte Schweiz, berichtet über die Nöte der Betroffenen. Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter IV-Stelle Schwyz, sieht die IV als Massengeschäft und die Dauer der Gutachtenerstellung als kritisch. Karin Hansen, Geschäftsführerin Pensionskasse Rheinmetall, erklärt, was die Gutachten in Bezug auf die 2. Säule bedeuten und inwiefern KI helfen könnte. Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum, startet die Diskussion mit der Frage, inwiefern IV-Gutachten eine Lotterie sind. Weitergeführt wird das Gespräch angeregt und intensiv am Apéro, offeriert vom Verlag vps.epas. – Andreas Dummermuth und Karin Hansen kommen etwas später zum Apéro, sie haben im vps.epas-Studio noch die Fragen von Breakdown-Podcasterin Mirjam Breu beantwortet. Dieser Podcast vom Luzerner Forum ist demnächst online.

 

In ihrer Begrüssung dankt alt Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler, Präsidentin Luzerner Forum, dem Verlag vps.epas für das Gastrecht. Thema sei etwas, das viele Fragen aufwirft, vor allem dann, wenn es einen betrifft: Wer hat Anspruch auf IV-Leistungen? Wie viel? Ab wann gibt es Massnahmen zur Wiedereingliederung? Was, wenn sich der Anspruch ändert? «Heute geht es um Abklärungen und Gutachten. Die sind so vielfältig wie die Menschen, die sie benötigen.»

Sie gibt das Wort an Gregor Gubser; der Co-Chefredaktor des vps.epas-Magazins «Penso» stellt den Verlag vor: vps.epas wurde 1987 von Exponenten der 2. Säule gegründet, alles Privatpersonen, Bedingung war und ist ein Engagement in der 2. Säule. Der Verlag beschäftigt 20 Personen teilzeit und rund 100 Personen in Fachgruppen. Die beiden Zeitschriften «Schweizer Personalvorsorge» und das «Penso» sind die Hauptprodukte, dazu gibt es elektronische Ergänzungen. Ausserdem organisiert vps.epas Weiterbildungen für Pensionskassen und Sozialversicherungen sowie Fachmesse 2. Säule mit dem Vorsorge-Symposium. Der «Leitfaden schweizerische Sozialversicherungen», im Saal als Standardwerk bekannt, kommt vom Verlag. Die Autorin, Getrud E. Bollier, ist sogar anwesend. Zudem unterhält vps.epas ein Studio zur Aufnahme von Weiterbildungs-Webinars – genutzt im Anschluss vom Breakdown-Podcast.

 

Die Grundlagen

Prof. Peter Mösch Payot, HSLU, stellt die Ausgangslage vor, geht ein auf die Themen der Berichte und Gutachten, nämlich die invalidisierenden Gesundheitsschäden und ihre Auswirkungen. Dabei stellt er klar, dass eine medizinische Diagnose die Voraussetzung bildet für einen Anspruch auf IV-Leistungen. Diese Diagnose bildet das medizinische Substrat, es muss fachärztlich schlüssig festgestellt werden. Triagestelle zur Feststellung einer funktionalen Leistungsfähigkeit bzw. Leistungsunfähigkeit sind die RAD, also die regionalen ärztlichen Dienste. Doch, so Peter Mösch Payot: «Schwarz und weiss gibt es bei Gutachten nicht. Das nennt sich in der Gesetzgebung überwiegende Wahrscheinlichkeit.» Dies betrifft vor allem psychiatrische Diagnosen, Long-Covid-Diagnosen und Suchterkrankungen: Die Beschwerdebilder seien oft unklar, es werde schnell komplexer als man denke. Zwei Punkte sind wichtig: Nehmen die Betroffenen eine medizinische Behandlung in Anspruch? Wirkt sich eine Einschränkung auch insgesamt aus, z.B. auf die Freizeit? Ausserdem haben die Betroffenen eine umfassende Pflicht zur Mitwirkung: Bei jeder Untersuchung, die zumutbar ist, ist mitzuwirken. Dass die Begutachtungen auf Tonband aufgenommen werden, ist für Peter Mösch Payot eine präventive Massnahme zur Sicherung der Qualität dieser Begutachtungen. Beeinträchtigungen bleiben trotzdem nicht eindeutig beweisbar, sondern nach sogenannter überwiegender Wahrscheinlichkeit. Peter Mösch Payot: «Der Weg zur Entscheidung soll überprüfbar sein: Klare Fachlichkeit, Anamnese, Befund, Behandlung, Therapieempfehlung.»

 

Die Sicht der Versicherten

Rainer Deecke, Präsident Versicherte Schweiz, nimmt die Sicht der betroffenen Versicherten ein. Er konstatiert, dass in den Gutachterstellen einiges besser geworden, man aber noch nicht am Ziel sei. Dies trotz Tonaufnahmen, die das Explorationsgespräch nachvollziehbar gemacht hätten; trotz der Qualitätskommission EKQMB und trotz Statistiken über Arbeitsunfähigkeit. Die Tonbandaufnahmen dienen den Betroffenen und den Gutachtern. Aber es ist immer noch eine Lotterie: «die Wahrscheinlichkeit, eine volle Arbeitsunfähigkeit bescheinigt zu bekommen, liegt je nach MEDAS [Gutachterstelle] zwischen 2.8% bis 28%.» Rainer Deecke erinnert an den Skandal um die Gutachterstelle PMEDA. Dass es möglich gewesen sei, dass die Gutachten der PMEDA durchgewunken worden seien, liege an systemimmanenten Fehlanreizen: Quantität vor Qualität; das Bundesgericht fordert die Qualität nicht ein; Gerichte haben nur beschränkte Kompetenzen zur Überprüfung; es benötigt hohe gutachterliche Anforderungen zur Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit; die Behandlerberichte haben geringe Beweiskraft; die RAD sind nicht unabhängig und neutral. Interessant auch: Gutachten, die eine volle Arbeitsfähigkeit ausweisen, werden meistens unkritisch abgesegnet, hingegen wird Arbeitsunfähigkeit penibel untersucht. Das Fazit von Rainer Deecke: «Die versicherte Person sollte das Recht haben, eine Arztperson nach Wahl gerichtlich befragen zu lassen.» Rainer Deecke verweist auf zwei Publikationen von Versicherte Schweiz, eine für Betroffene, eine für Gutachter: «Hilfe, ich muss zu einem Gutachten! Worauf muss ich achten?» und «Worauf achten beim Verfassen von Arztberichten?»

 

Die Sicht der Versicherer

Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter der IV-Stelle Schwyz, berichtet aus der Sicht der Versicherer am Beispiel des Kanton Schwyz mit seinen 165'000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 2024 gab es 5'500 Anmeldungen, gefällt wurden etwa 1'300 Entscheide zu Renten und 2'100 zu beruflichen Massnahmen. Insgesamt gab es 8'100 Beschlüsse zu IV und AHV. In der Schweiz beziehen 516'000 Personen Leistungen der IV, das könne ein Hörgerät sein oder eine Rente in Folge Teil- oder voller Arbeitsunfähigkeit. Das bedeutet, es gibt 516'000 Arztberichte. Die IV ist ein Massengeschäft. Da ist man froh, wenn das Gutachten da ist und der RAD es bestätigt. Die Tonaufnahmen sieht Andreas Dummermuth kritisch: «Es gibt 30'000 Tonbandaufnahmen, und wie viele werden abgefragt? Nicht ein Prozent.» Sie seien einfach aufwändig. Zum PMEDA-Skandal bzw. zu den Gutachterstellen weist Andreas Dummermuth darauf hin, dass es nicht die AHV und IV sind, die diese Verträge mit den Gutachterstellen machen. Das sei das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV. Und schliesslich entscheide das Bundesgericht, wer in dieser Rentenlotterie gewinne. Darunter leiden die Betroffenen: «Von der Auftragserteilung bis zum Eingang eines Gutachtens dauert das Monate bis Jahre. Die Leute erhalten kein Geld, und wir können nichts tun.»

 

Die Sicht der Pensionskassen

Karin Hansen, Geschäftsführerin Pensionskasse Rheinmetall, hat ebenfalls unerquickliche Nachrichten: «IV-Gutachten schlagen voll durch in die 2. Säule. Gibt es eine halbe Rente in der 1. Säule, gibt es auch eine halbe in der 2. Säule.» Dabei belastet die IV die Pensionskassen, denn die Entscheidungen der IV-Stellen wirken direkt auf die 2. Säule und beeinflussen die finanziellen Verpflichtungen der Pensionskassen. Kommt hinzu, dass die Zusammenarbeit von 26 IV-Stellen und den rund 1'300 Pensionskassen komplex ist und daher auch folgenreich für alle Beteiligten. Viele Fälle lassen sich standardisiert bearbeiten, aber nicht alle. In Anbetracht dessen, dass komplexe, schwer greifbare Leiden zunähmen, brauche es bessere Strukturen, und so wirft Karin Hansen einen Blick auf die Möglichkeiten von KI und verweist auf Länder, die mithilfe von KI und anonymisierten Daten die Vorselektion beschleunigen. So identifiziere Amazon Comprehend Medical Beziehungen zwischen Gesundheitsinformationen, extrahiert aus Arztakten, klinischen Studienreports oder Radiologieberichten. «Warum nicht schweizweit eine Art zertifiziertes Servicecenter schaffen? KI unterstützt in der Vorselektion und bei der Dossiererstellung, um die Prozesse zu beschleunigen.» Schliesslich sei Zeit entscheidend für die Betroffenen und Anfechtungen am Schluss oft langwierig, teuer und emotional belastend. Daher ist es sinnvoll, den Prozess bereits am Anfang für alle zu verbessern.

 

Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum, bedankt sich – und startet die Diskussion: «Als Bürger hätte ich ja schon den Anspruch, dass die IV keine Lotterie ist.» Und los geht’s. Am Apéro dann, freundlich offeriert von vps.epas, geht die Diskussion weiter, klar.

Photos der Veranstaltung

Hier finden Sie Eindrücke dieser Veranstaltung.

Video der Veranstaltung

Hier finden Sie das Video der Veranstaltung.

Übersicht

Datum und Zeit

Montag, 7. April 2025
17.30 bis 18.30 Uhr mit anschliessendem Apéro riche

Programm

17.30 Uhr Begrüssung Ida Glanzmann-Hunkeler, Präsidentin Luzerner Forum
und Vorstellung Gregor Gubser, Co-Chefredaktor Penso, vps.epas

17.40 Uhr Ausgangslage mit Prof. Peter Mösch Payot, HSLU (die Präsentation)

17.55 Uhr Die Sicht der Versicherten; Rainer Deecke, Präsident Versicherte Schweiz (die Präsentation)

18.10 Uhr Die Sicht der Versicherer; Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter der IV-Stelle Schwyz (die Präsentation)

18.20 Uhr Perspektive der Pensionskassen; Karin Hansen, Geschäftsführerin Pensionskasse Rheinmetall (die Präsentation)

18.30 Uhr Diskussion moderiert durch Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum

18.45 Uhr Ende der Veranstaltung
mit anschliessendem Apéro riche

Teilnehmende

 

Moderation

Veranstaltungsort

VPS Verlag
3. Stock, Tagungsraum
Ringstrasse 27
6010 Kriens

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