Netzwerk-Apéro

Besuch beim Standort Luzern des Bundesgerichts

Netzwerk-Apéro

Das prunkvolle Gebäude am Schweizerhofquai, zwischen Hofkirche und Hotel Schweizerhof, kennt man bis weit über die Stadt Luzern hinaus. Doch was hinter den imposanten Mauern vonstatten geht, ist den meisten unbekannt. Für rund 50 interessierte Besucherinnen und Besucher hat sich das mit dem Netzwerk-Apéro vom 22. Juni 2022 geändert. Nach einer Führung durch die Räumlichkeiten des Bundesgerichts begrüsste Bundesgerichtspräsidentin Martha Niquille das Luzerner Forum im Plenarsaal und offenbarte beste Aussichten und Absichten für den Standort Luzern. Bundesrichter Marcel Maillard gewährte danach einen Einblick in die aktuelle Rechtsprechung der I. sozialrechtlichen Abteilung.

Seit 1874 tagt das Bundesgericht in Lausanne. Seither hat sich viel getan, die Organisation hat sich mit der Zeit entwickelt. Bis heute liegt der Hauptsitz in Lausanne, die beiden sozialrechtlicher Abteilungen sind in Luzern zuhause, das Bundesverwaltungsgericht sitzt in St. Gallen, das Bundesstrafgericht in Bellinzona. Doch dabei wird es nicht bleiben, wie Bundesgerichtspräsidentin Martha Niquille in ihrem Eröffnungsreferat offenbarte. Dazu aber später.

Die Räume

Zu Beginn des Besuchs beim Luzerner Bundesgericht hatten die Gäste die wohl einmalige Gelegenheit, eine Führung durch das eindrückliche Belle Epoque-Gebäude zu geniessen. Erfahren durften sie Interessantes über die Geschichte des Gotthardbaus und seine Bauweise. Neben dem Einblick in den überraschend schlicht und modern gestalteten Gerichtssaal gab es auch die Bibliotheken und den Lesesaal zu sehen, ein Richterbüro, das Präsidialzimmer und den prunkvollen Gotthardsaal. Von der Dachterrasse liessen die Besucherinnen und Besucher ihre Blicke über den Vierwaldstättersee zum Alpenpanorama schweifen. Im Plenarsaal angekommen freuten sich die Gäste des Luzerner Forums auf die Vorträge von Bundesgerichtspräsidentin Martha Niquille und Bundesrichter Marcel Maillard. Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler, Präsidentin des Luzerner Forum begrüsste die Gäste und bedankte sich beim Bundesgericht für die Gastfreundschaft. Hannes Blatter moderierte am Ende eine kurze Fragerunde.

Das neue Bundesgericht

Martha Niquille, die direkt von einer Tagung aus Brüssel zum Luzerner Forum stiess, zeichnete in ihrem Eröffnungsreferat das Bild des Bundesgerichts als moderne, wandelbare und zugleich etablierte Institution. Die Abteilungen in Lausanne und Luzern seien in den letzten Jahren organisatorisch immer näher zusammengerückt. «Vom Genfersee zum Vierwaldstättersee, eine Geschichte des Zusammenwachsens», so überschrieb die Bundesgerichtspräsidentin ihr Grusswort. Dabei ging sie auch auf die verstärkte inhaltliche Verzahnung der Standorte in Lausanne und Luzern ein. Am 1. Januar 2023 tritt die Reorganisation des Bundesgerichts in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt wird in Luzern neben sozialrechtlicher Rechtsprechung auch die Abteilung für Steuerrecht ihre Heimat haben. Martha Niquille sieht darin nicht nur einen Mehrwert für das Bundesgericht, sondern auch für Luzern. «Mit der Neuorganisation des Bundesgerichts wird der Standort Luzern aufgewertet. Davon profitieren Parteien, Richter und auch Mitarbeitende. Die Attraktivität des Bundesgerichts als Arbeitgeber wird steigen.» Das Bundesgericht verlässt sich also ab 2023 noch stärker auf seinen Standort in Luzern. Diese erfreuliche Neuigkeit hörten viele Teilnehmende beim Luzerner Forum zum ersten Mal, nahm man doch davon in den Medien kaum Notiz. Mit dieser Ankündigung übergab Martha Niquille das Wort an Bundesrichter Marcel Maillard.

Die aktuelle Rechtsprechung

Marcel Maillard nahm die Zuhörenden im Plenarsaal mit auf einen rund 40-minütigen Streifzug durch die aktuelle Rechtsprechung der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts. Dabei zeigte er insbesondere auf, dass in Luzern wegweisende Urteile in vielen relevanten Rechtsgebieten gefällt werden. Eingangs beschrieb er die Hauptaufgabe des Bundesgerichts wie folgt: «Das Bundesgericht überprüft anhand konkreter Fälle, ob Sinn und Geist des Bundesrechts tatsächlich gewahrt wird.» Vier Beispiele sollen an dieser Stelle kurz erwähnt sein.

  1. Der Kanton Luzern musste 2017 rund 25 Millionen Franken an tausende Prämienzahlerinnen und Prämienzahler zurückerstatten. Das Bundesgericht hatte in seinem Urteil festgestellt, dass die vom Kanton eingeführte Einkommensgrenze von 54‘000 Franken für den Anspruch auf Individuelle Prämienverbilligung nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Regelung wurde damit als bundesrechtswidrig aufgehoben, der Kanton musste zusätzliche Prämienverbilligungen ausbezahlen.
  2. Die Unfallversicherung SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht im Fall eines Mannes, der sich am Knie verletzte und eine unfallähnliche Körperschädigung geltend machte. Später stellte die SUVA die Leistung ein, da sie für eine spätere Körperschädigung keine Kausalität mehr sah. Das Bundesgericht stützte in seinem Urteil die SUVA und wies die Beschwerde des Klägers auf Fortzahlung der Leistung ab. Dabei stützten sich die Richter auf den Umstand, dass das Unfallereignis keine Teilursache eines späteren Meniskusrisses war, sondern eine vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführende Körperschädigung.

  3. Im Januar 2020 hatte das Bundesgericht eine abstrakte Normenkontrolle einer neuen Regelung des Zürcher Sozialhilfegesetzes durchzuführen. Dabei ging es darum, zu überprüfen, ob die neue kantonale Regelung dem Bundesrecht, insbesondere der Verfassung, standhält. Das Bundesgericht stellte folgendes fest: Die ungewisse Möglichkeit, dass sich die fragliche Bestimmung in besonders gelagerten Einzelfällen als verfassungswidrig auswirken könnte, vermag ein Eingreifen des Bundesgerichts im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nicht zu rechtfertigen, weshalb die Beschwerde abgewiesen wurde.

  4. Die Universität Zürich hat eine Professorin entlassen. Das Zürcher Verwaltungsgericht entschied im November 2019, die Kündigung sei nichtig. Die Universität hatte die Einlassung auf Informationen gestützt, die in einem Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung in der Affäre Mörgeli nicht zugelassen waren. Vom Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung wurde Ritzmann in der Folge freigesprochen. Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Universität Zürich teilweise gutgeheissen. Dabei gelangten die Richterinnen und Richter zum Schluss, die Kündigung sei zwar missbräuchlich, aber nicht nichtig. Damit hatte Ritzmann lediglich Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung, nicht aber auf eine Weiterbeschäftigung.

Hier finden Sie den Vortrag von Bundesrichter Marcel Maillard mit detaillierter Ausführungen zu den Fällen.

Nach diesen interessanten Einblicken in die aktuelle Bundesgerichtspraxis in den relevanten Rechtsgebieten bedankte sich Bundesrichter Marcel Maillard für die Aufmerksamkeit und die Gelegenheit, die aktuelle Rechtsprechung der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vorzustellen. Anschliessend moderierte Hannes Blatter, Geschäftsführer des Luzerner Forums, eine kurze Fragerunde. Dabei interessierte, ob Bundesrichterinnen und Bundesrichter in der Schweiz um ihre persönliche Sicherheit bangen müssten. Martha Niquille antwortete, dass sich die Schweiz da schon von anderen Staaten unterscheide. Hierzulande seien die Bundesrichterinnen und Bundesrichter nicht so bekannt und müssten deshalb keine persönlichen Angriffe fürchten. Marcel Maillard indes erinnerte an den Fall eines Kollegen, der vor einigen Jahren vor dem Bundesgericht in Luzern angegriffen wurde. Dies sei aber ein seltener Einzelfall gewesen. Nichtsdestotrotz sei er bei Ihnen allen aber in starker Erinnerung geblieben.

Nach den interessanten Einblicken und Ausblicken in den Räumlichkeiten des Bundesgerichts blieb beim Apéro riche im Hotel Schweizerhof Zeit für den fachlichen Austausch und die ungezwungene Netzwerkpflege.

Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Bundesgericht, insbesondere Bundesrichter Marcel Maillard, für die spannenden Einblicke und die einmalige Möglichkeit, eine so bedeutende Institution der Rechtsstaatlichkeit mit Sitz in Luzern näher kennenzulernen.

Photos der Veranstaltung

Hier finden Sie Eindrücke dieser Veranstaltung.

 

Medienmitteilung

Medienmitteilung: Bundesgericht stärkt den Standort Luzern

Die Unterlagen

Vortrag Marcel Maillard

Der Netzwerk-Apéro

Datum und Zeit
Mittwoch, 22. Juni 2022
16.00 Uhr bis 17.00 Uhr Führung im Bundesgericht
17.00 Uhr bis 18.00 Uhr Vorträge im Plenarsaal des Bundesgerichts
Anschliessend Apéro riche im Hotel Schweizerhof

Das Programm

16.00 Uhr
Führung durch das Bundesgericht Standort Luzern
 
17.00 Uhr
Begrüssung durch Ida Glanzmann-Hunkeler, Nationalrätin und Präsidentin des Luzerner Forums.
 
17.05 Uhr
Grussbotschaft durch Niquille Martha, Bundesgerichtspräsidentin.
 
17.15 Uhr
Marcel Maillard,
Bundesrichter: Die aktuelle Rechtsprechung der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts.
 
17.40 Uhr
Kurzer Austausch moderiert durch Hannes Blatter, Geschäftsführer Luzerner Forum

18.00 Uhr
Ende der Veranstaltung und anschliessend Apéro riche
 

Veranstaltungsort

Führung und Diskussion
Bundesgericht Luzern
Schweizerhofquai 6
6004 Luzern

Apéro riche
Hotel Schweizerhof Luzern
Hotelhalle
Schweizerhofquai 3
6004 Luzern